Da ich diese Woche keine Zeit für eine ausgiebige Recherche hatte, gibt es heute keine Beantwortung einer Frage, sondern einen Text zu einem meiner Meinung nach sehr wichtigen Thema. Gemeint ist die leider immer noch allgegenwärtige Lebensmittelverschwendung.
Ins Zentrum des des öffentlichen Interesses gerückt wurde das Thema 2010 durch den Film „Taste the Waste“ des Filmemachers Valentin Thurn sowie durch das zugehörige Buch „Die Essensvernichter“, das Thurn zusammen mit dem Journalisten und Autor Stefan Kreutzberger geschrieben hat. Film und Buch zeigten die immense Verschwendung von Lebensmitteln auf, die vor allem in den Industriestaaten auftrat und leider heute immer noch auftritt. Diese reicht von den Landwirten, die teilweise die Hälfte ihrer Ernte auf den Feldern direkt wieder unterpflügen, weil sie sie nicht verkaufen können, über den Lebensmittelhandel, der viele Waren entsorgt, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, bis hin zum Verbraucher, der verdorbene Lebensmittel entsorgt, weil er so viel eingekauft hat, dass er nicht alles aufbrauchen konnte. Allein in Deutschland werden so jedes Jahr 20 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, von denen die meisten noch verzehrbar wären. Das Essen, das in Europa weggeworfen wird, würde zwei Mal ausreichen, um alle Hungernden der Welt zu ernähren [1]. Natürlich würde es keinen Sinn ergeben, dieses Essen von Europa zu den hungernden Menschen zu bringen. Aber wenn wir unseren Lebensmittelverbrauch um die Menge des weggeworfenen Essens reduzieren würden, würden dadurch immense Ackerflächen frei, auf denen dann Nahrungsmittel für diejenigen produziert werden könnten, die sie wirklich brauchen.
Weil ich nur das Allerbeste will…
Warum kommt es nun aber zu einer solchen Verschwendung von Lebensmitteln? Der Hauptgrund dafür liegt in unserm Konsumverhalten. Obst und Gemüse, das kleine „Schönheitsfehler“ hat, wird nicht gekauft. Der Apfel mit der Druckstelle, die „zweibeinige“ Möhre und die zu krumme Gurke bleiben im Regal liegen und man greift lieber zu dem Stück daneben, das diesen „Fehler“ nicht hat. Der Handel hat darauf natürlich reagiert und nimmt den Erzeugern solche Lebensmittel erst gar nicht mehr ab oder sortiert sie frühzeitig aus.
Hinzu kommt, dass die meisten Verbraucher das Mindesthaltbarkeitsdatum falsch interpretieren und Lebensmittel, bei denen dieser Zeitpunkt überschritten ist nicht mehr kaufen bzw. sofort wegwerfen, weil sie davon ausgehen, dass das Essen dann verdorben ist. Hierüber gibt dieses Datum jedoch gar keine Auskunft. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist der Zeitpunkt, bis zu dem der Hersteller garantiert, dass ein Produkt seine spezifischen Eigenschaften wie Konsistenz oder Aroma behält. Die Hersteller sind zwar gesetzlich dazu verpflichtet, ein Mindesthaltbarkeitsdatum an den Lebensmitteln anzubringen, die Festlegung desselben kann jedoch vollkommen willkürlich geschehen. Es stimmt auch nicht, dass Lebensmittel mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum nicht mehr verkauft werden dürfen. Dies trifft nur auf das Verbrauchsdatum zu, welches in der Tat eine Empfehlung darstellt, das Lebensmittel nach dem entsprechenden Zeitpunkt nicht mehr zu verzehren und ist durch die Worte „zu verbrauchen bis…“ im Gegensatz zum „mindestens haltbar bis…“ des Mindesthaltbarkeitsdatums. Viele Lebensmittel überschreiten ihr Mindesthaltbarkeitsdatum aber nicht erst in den hinteren Ecken unserer Kühlschränke, wo sie nach dem Kauf vergessen wurden, sondern bereits in den Regalen des Lebensmittelhandels, weil die Händler jederzeit von allen Waren eine Große Menge vorrätig halten, aus Angst, dass der Kunde beim nächsten Mal zur Konkurrenz geht, wenn er ein gewünschtes Produkt nicht erhält.
Schlussendlich wandern viele Lebensmittel bei den Verbrauchen in den Müll, weil sie das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben oder wirklich verdorben sind da schlicht zu viel gekauft wurde, um es rechtzeitig aufzubrauchen oder bestimmte Waren aus einer Laune heraus mitgenommen und dann doch nicht gegessen wurden.
Der Klimawandel aus der Mülltonne
Aber warum ist es denn so schlimm, wenn wir die Lebensmittel wegwerfen? Aus mehreren Gründen. Um die stetig wachsende Weltbevölkerung auch in Zukunft ernähren zu können, benötigen wir bei unserem derzeitigen Lebenswandel weit mehr Ackerfläche als uns zur Verfügung steht. Vor allem wenn die Entwicklungsländer mit wachsendem Wohlstand das Konsumverhalten der Industrieländer annehmen. Neben dem immensen Landverbrauch für die Produktion der Lebensmittel, die wir so gedankenlos wegwerfen werden hierfür auch riesige Mengen an Energie benötigt, was auch einen großen Ausstoß an Treibhaugasen nach sich zieht. So beträgt der Anteil der Landwirtschaft am gesamten Ausstoß von Treibhausgasen 14 %, wobei hier die Treibhausgase, die durch veränderte Landnutzung wie die Brandrodung von Wäldern um sie als Viehweiden zu nutzen oder die Trockenlegung von Sümpfen noch nicht mit eingerechnet sind [1]. Wenn wir aufhören würden, etwa ein Drittel unserer Nahrungsmittel wegzuwerfen und entsprechend weniger Produzieren würden, würde das unser Klima gewaltig entlasten.
Licht am Ende des Tunnels
Glücklicherweise scheint zumindest bei einem Teil der Bevölkerung langsam ein Umdenken beim Umgang mit Lebensmitteln einzusetzen. So holen die Mitglieder des von Valentin Thurn gegründeten Vereins Foodsharing (www.foodsharing.de) Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist oder die aus anderen Gründen nicht mehr verkauft werden können, bei den Lebensmittelhändlern ab und geben sie kostenlos an Interessierte weiter, damit die Lebensmittel nicht weggeworfen werden müssen. Einige Ketten des Lebensmitteleinzelhandels sind dazu übergegangen, Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum kurz vor dem Anlauf steht, zu reduzierten Preisen abzugeben, damit sie noch rechtzeitig verkauft werden können. Inzwischen gibt es auch schon ein App, mit der man sich anzeigen lassen kann, welcher Laden in der Umgebung gerade welche Lebensmittel zu reduzierten Preisen abgibt (www.foodloop.net). In Amsterdam, Kopenhagen und bald auch in Berlin gibt es mit dem InStock (www.instock.nl), dem rub & stub (www.spisrubogstub.dk) und dem Restlos glücklich (www.restlos-gluecklich.berlin) Restaurants, die für die Zubereitung ihrer Speisen abgelaufene Lebensmittel verwenden und so einerseits aktiv die Menge der weggeworfenen Lebensmittel verringern, sich andererseits aber auch die Aufklärung der Leute über das Thema auf die Fahnen geschrieben haben, um nicht nur Symptome zu behandeln, sondern das grundsätzliche Problem zu bekämpfen. Ebenfalls in Berlin befindet sich das Restaurant Culinary Missfits (www.culinarymisfits.de), wo für die Zubereitung der Speisen Gemüse verwendet wird, dass nicht der Norm entspricht.
Was kann ich tun?
Um das Problem aber wirklich in den Griff zu bekommen sind über diese Initiativen hinaus wir alle gefragt. Denn wir als Konsumenten haben die Macht eine Veränderung zum Besseren zu bewirken. Wenn der Lebensmittelhandel merkt, dass wir auch krumme Gurken und andere Missfits kaufen, werden diese auch wieder den Weg in die Regale finden. Alternativ können wir wieder mehr auf dem Wochenmarkt bei Regionalen Händlern einkaufen, die solches Obst und Gemüse oft im Angebot haben.
Wichtig ist auch, dass wir unser Verhältnis zu unseren Lebensmitteln überdenken und ihnen wieder mehr Wertschätzung entgegen bringen und überlegter konsumieren. Wir müssen uns Fragen „Brauche ich das jetzt wirklich?“ und vor allem „Verbrauche ich das rechtzeitig, bevor es schlecht wird?“ Wenn jeder bei sich anfängt und sein Verhalten entsprechend ändert, kann die Lebensmittelverschwendung bald der Vergangenheit angehören.
Literatur:
[1] Kreutzberger S., Thurn V.: Die Essensvernichter; 2011, RM Buch und Medien Vertrieb GmbH